Fern- statt Präsenzunterricht: Umstellung in vollem Gang

Seit dem 16. April sind alle Schulen landesweit geschlossen. Von einem Tag auf den anderen mussten die Schulen vom Präsenz- auf den Fernunterricht umstellen. Wir haben mit Markus Müggler, Vizepräsident des Verbands Thurgauer Schulgemeinden und verantwortlich für den Bereich Informatik, über die Herausforderungen und die aktuelle Situation gesprochen.

STG: Herr Müggler, die Schulen haben fast von einem Tag auf den anderen geschlossen und niemand kann sagen, wie lange diese Situation noch so bleibt. Wie kommen die Schulen mit der Umstellung von Präsenz- auf Fernunterricht klar?

Markus Müggler: Wir haben in den letzten beiden Wochen unglaublich viel Engagement gesehen, um den Wechsel vom Präsenzunterricht in den Fernunterricht auf die bestmögliche Weise für alle Beteiligten umzusetzen. Alle Schulen haben ihren Voraussetzungen entsprechende Mittel und Wege gefunden, gute Lösungen für die Schülerinnen und Schüler auf die Beine zu stellen. Die nun beginnenden Frühlingsferien werden ebenfalls intensiv genutzt werden, um auch bei einer länger anhaltenden Schulschliessung über den 19. April hinaus gerüstet zu sein.

Inwiefern tragen digitale Lösungen ihren Teil zur Bewältigung bei?

Digitale Lösungen spielen sicher eine Rolle, um den Unterricht auch aus der Ferne zu organisieren und aufrecht zu erhalten. Man muss sich aber zunächst einmal fragen, was die Schüler*innen überhaupt brauchen. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den drei Zyklen, also zwischen den kleinsten auf Kindergartenstufe bis und mit 2. Klasse, den Dritt- bis Sechstklässlern und auf der Sekundarstufe. In der Primarschule braucht es vor allem altersgerechte Materialien. Die kann man per Post versenden. Ein übermässiger Einsatz von Bildschirmmedien ist bei den Kleinen ja gar nicht so erwünscht. Je älter die Kinder werden, desto mehr digitale Möglichkeiten kommen auch zum Einsatz. Ganz wichtig für alle – unabhängig vom Alter – sind Möglichkeiten mit den Lehrpersonen in Austausch treten zu können, ob nun per Telefon oder Online-Treffen.

Welche Lösungen kommen den nun zum Einsatz?

Insgesamt sehen wir, dass bereits genutzte digitale Kommunikationsmöglichkeiten nun noch mehr zum Einsatz kommen. Allerdings handelt es sich hierbei vielfach um Branchen- oder Nischenlösungen, die nur bedingt skalieren und in der momentanen Situation mit vielen Schüler*innen schnell an Ihre Grenzen kommen. Einige Schulen nutzen nun auch eigens für die aktuellen Umstände neu entwickelte Lösungen, welche besser skalierbar sind. Das kreative Potential was sich gerade entfaltet ist enorm, hier werden mit viel Ideenreichtum gangbare Wege ermittelt und umgesetzt.

Welche Voraussetzungen müssen für den Einsatz digitaler Möglichkeiten vorliegen und sind diese vorhanden?

Generell gilt es hierzu zwei Aspekte zu beachten – die Infrastruktur in der Schule und die Infrastruktur auf Seiten der Schüler*innen. Was die Schulen angeht, ist die Umstellung auf den Unterricht in Medien, Informatik und Anwendungskompetenz im Gange, die ICT-Infrastruktur dazu ist aber noch unterschiedlich ausgeprägt. Vielerorts liegen Konzepte vor und nun werden Massnahmen, die man eigentlich für die Sommerferien oder noch später geplant hatte, vorgezogen, um so möglichst schnell etwas Sinnvolles anbieten zu können, beispielsweise Online-Plattformen zu herunter- und wieder hochladen der Aufgaben, Chat mit dem Lehrer oder für Videobotschaften und einzelne Lektionen als Online-Formate. Online-Unterricht zu festen Zeiten spielt in der Primarschule aber nur eine untergeordnete Rolle. Dies ist teilweise an Sekundarschulen oder dann an Mittel- und Berufsschulen der Fall. Der zweite, für uns derzeit relevante Aspekt ist die Infrastruktur bei den Kindern zuhause. Hier wird die Anzahl geeigneter Endgeräte, die Kapazität der Internet-Zuleitung sowie die gleichzeitige Nutzung aller «Home Office User» zur echten Herausforderung.

Welche Herausforderungen bestehen für den Online-Unterricht? Gerade bei älteren Schüler*innen sollte dies doch möglich sein.

Teilweise sind die Voraussetzungen auf Schulseite noch nicht gegeben. Und wenn die Schule die notwendige ICT-Infrastruktur hat, muss man auch sicherstellen können, dass auf Nutzerseite alles notwendige vorhanden ist, d.h. PC, Software usw. und die «Schule zu Hause» auch für die Familien machbar und mit anderen Anforderungen vereinbar ist. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Schüler*innen mit eigenen Endgeräten ausgestattet sind und die Schulen können auch nicht jeden Schüler mit einem Laptop für zuhause versorgen. Zu guter Letzt: Wenn Mami und Papi gerade auch von zuhause arbeiten und alle gleichzeitig Videokonferenzen nutzen, reicht das Netz schnell nicht mehr. Hier besteht schlicht Handlungsbedarf beim Ausbau mit Breitbandnetzen, da dieses in vielen ländlichen Gemeinden noch gar nicht verfügbar sind. Wir wissen von Berufsschülern, die dafür auf die Infrastruktur ihrer Lehrbetriebe zurückgreifen und von dort aus am virtuellen Unterricht teilnehmen bzw. lernen.

Zusammengefasst, welche zukünftigen Veränderungen in Sachen Digitalisierung erwarten Sie in den Schulen durch die aktuelle Krise?

Ganz klar wird die Krise die Digitalisierung in den Schulen beschleunigen. Digitale Bildungskonzepte und die dazugehörigen Massnahmen werden nun schneller in Angriff genommen und umgesetzt. Gerade für Schulen, die in ihren Planungen noch nicht so weit waren, kann das mit Unterstützung von Smarter Thurgau entwickelte Konzept «Vernetzte Schulen» hier sehr hilfreich sein. Ich denke auch, dass die IT Infrastruktur von den Schulen mehr denn je als betriebsrelevant erkannt wird: Die ICT in der Schule ist nicht bloss ein Kostenblock – sie wurde vielmehr zur Grundvoraussetzung für den Schulbetrieb. Zu hoffen ist, dass nun auch die Versorgung des gesamten Kantons mit Breitband bzw. Ultrabreitband wieder mehr in den Fokus rückt. Die Erschliessung der Zentren reicht nicht.

Sehr geehrter Herr Müggler, vielen Dank für das Gespräch!