Digitale Transformation in der Verwaltung

Aus der Privatwirtschaft ist Christoph Maier vor einem Jahr in die Verwaltung gekommen. Wir fragen ihn als Leiter des Amtes für Informatik des Kantons Thurgau, was digitale Transformation für ihn und seine Mitarbeitenden bedeutet.

Interview mit Christoph Maier

„Digitale Transformation bedeutet für jeden etwas Anderes. Ich komme aus der Privatwirtschaft und bin deshalb ein etwas anderes Umfeld gewohnt als jenes, welches ich nun seit etwas mehr als einem Jahr in der Verwaltung kennen lernen durfte.

Folgende Punkte kommen mir spontan in den Sinn, wenn ich an digitale Transformation in der Verwaltung denke: Als erstes sollten wir in der Verwaltung versuchen, vermehrt die Innensicht abzulegen und eine Kundensicht einnehmen. Zu sehr auf interne Verwaltungsabläufe fokussiert, gehen die eigentlichen Anliegen und Herausforderungen der BürgerInnen im Zusammenhang mit der Interaktion der öffentlichen Hand oft vergessen. Die für ein Amt optimalste Art eines Prozessablaufs ist nicht in jedem Fall auch die kundenfreundlichste. Um dieses Bewusstsein zu schärfen, braucht es die Kompetenz, sich in die Situation der KundInnen hineinzuversetzen. Das klingt einfach, ist aber ganz allgemein ein schwieriger Schritt. Hier ist ein Paradigmenwechsel in den Köpfen bei uns Verwaltungsangestellten notwendig. Einfacher formuliert, die Bürgerin oder der Bürger interagiert nicht mit uns, weil sie oder er muss, sondern weil sie oder er Unterstützung sucht.

Als nächstes kommt mir beim Stichwort Digitale Transformation Technologien in den Sinn und all die dadurch denkbaren Arbeitsplatzmodelle. Der mobile Arbeitsplatz wird früher oder später flächendeckend Tatsache sein, d.h. die MitarbeiterInnen sind mit Laptop, mobilem Telefon usw. ausgestattet und so viel flexibler bezüglich Örtlichkeit, wo sie ihren Job machen. Die klassische Arbeitsform, der Mitarbeitende sitzt am Tisch und ist nur dann erreichbar, wird gänzlich verschwinden.

Erwähnen möchte ich auch das schier unerschöpfliche Potential an Automatisierungsmöglichkeiten mittels IT: Was eine Maschine erledigen kann, soll sie auch machen, damit die Mitarbeitenden sich sinnstiftenden Aufgaben zuwenden können. Deshalb müssen wir uns immerzu die Frage stellen, wo neue Technologien zum Einsatz kommen könnten. Diese werden uns nicht unsere Arbeit wegnehmen, sondern uns einen angenehmeren Arbeitsalltag ermöglichen, indem wir uns wirklich sinnvollen Aufgaben annehmen können, die wirklich wertschöpfend sind.“

Digitaler Bürgerschalter

Viele Vorhaben und Projekte werden im Rahmen der Strategieumsetzung `Digitale Verwaltung Kt. Thurgau´ angegangen. Der Digitale Bürgerschalter ist eines, das ganz oben auf der Liste steht. Den BürgerInnen sollen Informationen und Dienstleistungen der öffentlichen Hand über einen einzigen sogenannten "Point of Contact" zugänglich sein, damit sie sich im sprichwörtlichen Verwaltungs­dschungel besser zurechtfinden können. Die Vision ist ein umfassender Service an einem Ort und aus einer Hand, wo die BürgerInnen, Fragen zu Covid, Steuern oder Umweltschutz beantwortet bekommen. Ab 2022 werden erste Dienstleistungen über den Bürgerschalter möglich sein. „Heute muss ich als Bürger schauen, an welcher Verwaltungsstelle komme ich mit meinem Anliegen vorwärts. Wenn ich dann die richtige Stelle gefunden habe, werde ich häufig nicht umfassend bedient, sondern an eine weitere Stelle weitergereicht und von dort geht's dann im schlimmsten Fall wieder zurück zum Anfang“, sagt Christoph Maier.

Herausforderungen der Digitalen Verwaltung

Verschiedene Erwartungen an die Digitale Verwaltung stellen das Amt für Informatik vor manche Hürden. „Viele sehen in der Digitalisierung eine Möglichkeit zur Kostenersparnis, andere sehen eine Optimierung und einen Ausbau des Dienstleistungsangebotes. Dies ist eine unterschiedliche Optik und führt zu so mancher Diskussion bezüglich Fokus und Prioritäten. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung der zur Verfügung stehenden Daten. Auf der einen Seite steht diese Datenpotential für schlanke durchgängige Prozesse durch zentrale Datenhaltung und deren konsequente Nutzung. Auf der anderen Seite ist dem Datenschutz eine hohe Bedeutung beizumessen und eben dem Prinzip, dass nur dort, wo absolut zwingend notwendig, ein Zugriff möglich sein soll. Dies ist ein Konflikt, der in der Praxis oft zum Tragen kommt und wo ein Mittelweg gesucht werden muss.“ Alle Projekte in der Pipeline werden nun auf eine Roadmap aufgegleist, wobei eine sinnvolle Priorisierung unter Berücksichtigung möglichst aller Interessengruppen angestrebt wird, dies gleicht jedoch dem Quadratur des Kreises, meint Christoph Maier. „Zum Glück entscheiden dies nicht wir Informatiker, sondern wir haben die breite Unterstützung in der gesamten kantonalen Verwaltung. Der eigens dazu gebildete Steuerungsausschuss `Digitale Verwaltung des Kt. Thurgau´ befasst sich intensiv mit der Roadmap und wird die optimalste Lösung finden.“

Eine spezielle Herausforderung ist insbesondere die Prozessverzahnung zwischen den politischen Ebenen. Die föderalen Strukturen mit den drei Ebenen Gemeinde, Kanton und Bund erschweren die Durchgängigkeit verschiedener Prozesse, die sich eben über mehrere dieser Ebenen erstrecken. Im Thurgau gibt es mehr als 80 Gemeinden. „Die Gemeinde-Autonomie und die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Kompetenzen und Tätigkeiten sind in jedem Fall zu wahren und somit werden die durchgängigen Prozesse nicht einfacher. Ferner sind die Gemeinden unterschiedlich aufgestellt. Erledigt eine kleinere Gemeinde gewisse Geschäfte vollständig manuell, mittels Akten und Schriftverkehr, gibt es andere, die mit entsprechender IT-Unterstützung schon sehr viel automatisiert haben. Beispielsweise für die Bearbeitung von Baugesuchen gibt es 5 oder 6 verschiedene IT-Lösungen, die in einer oder mehreren Gemeinden zur Anwendung kommen. Es gibt aber auch Gemeinden, die noch alles manuell abwickeln. Diese Rahmenbedingungen unter einen Hut zu bringen und für alle BürgerInnen einen einheitlichen und transparenten Baugesuch-Prozess einzuführen, wird eine sehr grosse Herausforderung werden.“

Verein Smarter Thurgau

Christoph Maier sieht den Nutzen des Vereins Smarter Thurgau vor allem in der Unterstützung von kleineren Unternehmen. Oftmals sind die Mittel und das Bewusstsein bezüglich der Vorteile von Investitionen in die Digitalisierung begrenzt. Hier kann die Vereinsarbeit einsetzen und kleinen Unternehmen das Potential aufzeigen. Oder es steht dem Verein sogar frei, Unterstützungs­leistungen in Form von Knowhow oder sogar finanzielle Hilfen zu leisten, sagt Christoph Maier. „Somit sehe ich den Zweck eines Vereins als komplementär gegenüber der öffentlichen Hand. Er kann eine Branche fokussieren, bestimmte Interessen vertreten und gezielt eine Sache unterstützen, während sich die öffentliche Hand auf die Schaffung von Rahmenbedingungen und bestenfalls auf Anschubfinanzierungen zu beschränken hat. Anders ausgedrückt, dort wo sich der Staat neutral verhalten muss, kann der Verein Smarter Thurgau deutlich weitergehen und aktive Unterstützungsleistungen anbieten.“